Kognitive Überforderung

Kürzlich bin ich im Netz über etwas gestolpert, dass mich wirklich irritiert und verwirrt. Eigentlich denke ich relativ tolerant zu sein. Jeder wie er mag, so lange keiner dabei unwillentlich zu Schaden kommen oder so... Und insgesamt meine ich auch, dass unsere Gesellschaft an der Oberfläche weitgehend tolerant ist. Aber dann habe ich eine Art "Bewegung" in Amerika entdeckt, bei der ich wirklich nicht so ganz nachvollziehen kann, woher das kommt. Erwachsene Frauen (bei Männern ist mir das noch nicht untergekommen), begeben sich ihrem Partner gegenüber in die Rolle des "Mädchens". "Daddy an his Princess" oder so. Das ganze gibt es dann vor allem im Kleid von hierarchischen Beziehungen. Ich weiß, dass in dieser Szene diverse Rollenklischees aufgewärmt werden, dass gerade in Amerika vielfach gerne mit der natürlichen "Schwäche" von Frauen argumentiert wird, die sich im Grunde ja nach einen starken Mann sehnen etc.. Nicht mein Ding, aber wenn man das möchte... Aber was ich nicht verstehe ist diese Verkindlichung. Man muss doch als erwachsene Frau kein Malbuch besitzen und Bilder für „Daddy“ malen und sich dabei ganz besonders "little" vorkommen. Oder mit Puppen spielen?!
Ich grüble da schon seit Tagen drüber nach, aber ich finde da einfach keine Ebene auf der ich das nachvollziehen kann.
distelfliege - 30. Jul, 01:26

hm..

..ohne jetzt irgendwas über die Daddy/Mädchen-Szene zu wissen, ich denke halt: Ja mei, wenns gefällt, das sind einfach Rollenspiele - von denen gibts ja massig viele Varianten. Ich kann auch vieles nicht nachvollziehen was andere vll. anmacht. Aber dafür bin ich halt meine eigene Person und andere könnens vll. nicht verstehen, was mich anmachen würde.

Ich finds nur unangenehm wenn Rollenspieler nicht mehr mitschneiden, wann Rollenspiel ist und wann "Alltag" ist. Ich hab mal 1-2 Mails bekommen, von einem Rollenspieler dessen Fetisch es eben war, sich vorzustellen, er lebt im Matriarchat und wird von Frauen beherrscht. Und der hat das eindeutig nicht mehr geschnallt wo seine Rollenspielwelt aufhört - und er hat dann Frauen, die Göttin-Webseiten haben, angeschrieben ob er ihnen bei Ritualen dienen darf o.Ä. *lol*

Ich denke auch, daß sich in Rollenspielen auch gesellschaftliche Mythen wiederspiegeln und verarbeitet werden, und daß die Rollenspieler mitunter überzogenere Szenarien erfinden, die aber wiedergeben was so in der "kulturellen Unterströmung" sowieso vorhanden ist, nur daß man da halt net drüber spricht. Die Verkindlichung von Frauen ist jetzt nicht irgendwas, was nur in den Betten von Fetisch-Leuts stattfindet. Das ist halt sowas, was Frauen vorgelebt und nicht wortwörtlich, aber doch sehr wohl vermittelt wird - kulturell. Du bist eine erwachsene Frau und trotzdem ein kleines niedliches "Määäääääädchen". Ich weiss jetzt nicht, was der blöd-kokette Augenaufschlag einer erwachsenen Frau, die zu faul ist, z.b. einen Koffer zu tragen, gross für einen Unterschied ausmacht, zu der erwachsenen Frau, die ein Malbuch ausmalt und dazu herumpiepst und kichert.
Hm, doch - also einen Unterschied gibts. Wenn ich zu faul bin oder der Koffer zu schwer ist, kann ich als erwachsene Frau immer noch in nem freundlichen Ton jemanden fragen, ob er/sie mir zur Hand gehen könnte, anstatt auf "dummes Mädchen" zu klimpern. Wenn mich das Mädchen-spielen sexuell anturnt und nix anderes, dann hab ich nicht so die Auswahl an Alternativen..

großstadtnomadin - 30. Jul, 16:27

Ich glaube nur, dabei geht es gar nicht so sehr um den Kink oder die Absicht das als sexuelle Stimulanz zu nutzen. Denn sexuell sind diese Spielchen wohl eher nicht. Auf mich wirkt das eher wie eine Art regressives Verhalten, um sich vom Daddy vor der bösen Außenwelt beschützen zu lassen. Was steckt denn da für ein Menschenbild hinter?
So Spezialisten, die anderen ihren Kink überstülpen und sie damit belästigen (was anderes ist das ja nicht), wie du sie beschreibst, sind natürlich noch Sonderfälle.
Mich persönlich schockiert es einfach nur, wie sehr im amerikanischen Sprachraum offensichtlich Lebensstile verbreitet sind und öffentlich postuliert werden, die nicht mehr viel mit sexuellem Kink zu tun haben, sondern m.E. eher eine gesellschaftliche Tendenz zur Rückkehr zu sehr tradierten und konservativen Wert-und Lebensvorstellungen zum Ziel haben. Eine Art Antiemanzipation im Kleid von konsensueller Entscheidung. Ich meine, gut, wenn eine beschließt: Ich lebe lieber unter den Fittichen meines Typens, er beschützt mich vor allem und ich bin dafür sein Heimchen am Herd - ok, wenn das wirklich ihre freie und reiflich überlegte Wahl ist. Ich frage mich nur, warum bekommt man den Eindruck, es gäbe eine allgemeingesellschaftliche Tendenz zurück zu solchen Vorstellungen? Ist das wirklich immer tiefste innerste Überzeugung der Betreffenden oder nicht vielleicht auch der bequemere und inzwischen gesellschaftlich durchaus gern gesehene Weg? Weil ehrlich, wenn ich die Daddy-Nummer nicht brauche, weil sie mich sexuell scharf macht, sondern weil ich die Sicherheit, die Daddys mir gibt und mein eigenes infantiles Gehabe im Alltag und stinknormalen Leben brauche, weil es die Dinge so schön einfacher macht, dann finde ich das schon schräg.
Daddy-Spielchen hin oder her, letztlich könnte man, wie du schon schriebst, noch andere seltsame Beispiele finden. Die Grundfrage ist glaube ich, ob es vertretbar ist im Rahmen von privater Interaktion Klischees etc. aufzuwärmen, die im Grunde nur negative Sachen transportieren und Bilder weiter tradieren, die völlig reaktionär sind. Schlussendlich muss das natürlich jeder selber wissen. Ich persönlich glaube, dass es hier vielleicht ein paar Parallelen zum Basteldiskurs gibt. Wenn man den Eindruck gewinnt, jemand tut diese Dinge reflektiert und hinterfragt das eigene Tun kritisch und ist sich der Komplexität und Problematik bewusst, so ist das in meinem Empfinden völlig ok. Wenn aber nach außen hin suggeriert wird, dies sei der bequeme, einfachere Weg, weil man zu „schwach“ sei, um sich mit dem Problem und Widrigkeiten der Welt selbst auseinanderzusetzen, dann finde ich das im besten Fall unglücklich. Wenn persönliche Vorlieben nur dazu dienen, die eigenen Probleme umzudeuten und sie so zu etwas „tollem“ zu machen, ist das m.E. ziemlich missglückt. Soll heißen: Wenn ich Daddys Girl spielen möchte, dann sollte die Motivation m.E. eine andere als sein als Bequemlichkeit und Angst vor der Welt da draußen.
Denn sonst beteilige ich mich an der Aufrechterhaltung von Vorstellungen, die ein Frauen- und Menschenbild transportieren, das mehr als nur reaktionär ist. Im Grunde stricken wir doch alle an Diskursen mit. Wenn also der Diskurs um schwache Frauen und konservative Wertvorstellungen immer wieder gefüttert wird (sei es nun durch lieblich-süß bastelnde Frauen oder welche, die unreflektiert Daddys Girl spielen), dann ist Eva Hermann letztlich ja nur die Spitze des Eisberges. Dabei würde eben gerade die Umdeutung, Ironisierung oder Dekonstruktion von traditionellen Elementen des Diskurses (wie den lieblich bastelnden oder den sich hingebenden, schwachen Frauen) doch die beste Möglichkeit liefern, das reaktionäre Gesocks mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. ;-)

distelfliege - 31. Jul, 07:18

tja, ich weiss nicht..

...geht es dabei nicht um Sexualität - und wenn nein, wieso ist es dann akzeptabler, wenn jemand 24/7 jemand anderem den Sklaven spielt, da kanns ja dann genausowenig nur um Sex dabei gehen.
Wie gesagt, ich kenn mich in der Szene null aus. Ich kann das nicht beurteilen, ob das stimmt, was du sagst, daß das mit sexuellem Kink nicht mehr viel zu tun hat und dafür mehr mit Reggression und Verantwortung-nicht-haben-wollen.

Ich kann bei einigen Fetisch+Rollenspiel-Szenarien, die mir halt so vom Hörensagen geläufig sind, auch nur sagen: Boh ja, damit wird eigentlich das total üble Bild transportiert, und das kann man schon nicht mehr nur reaktionär nennen, sondern eigentlich kann man das quasi schon faschistisch nennen. Also sagen wir mal: Sklaverei, Nazi-Fetisch, tralali und tralala.
Das Beängstigende am "Daddy-little-Girl" Szenario ist denk ich mal nicht, daß es reaktionär ist, sondern daß es nicht "krass genug" ist, um zu denken: "Sowas kann niemand ernsthaft - ausser als Rollenspiel - wollen".
Also z.b. so Sklaverei und Nazitralala, da denkt sich doch jeder: Sowas kann man spielen, aber ernsthaft versklavt sein oder von Nazis eingesperrt sein will doch keiner. (Und ich denke, das will keiner ernsthaft).
Bei Daddy-Girl denkt man sich: Hm, vielleicht ist es ein regressives Verhalten, vielleicht wollen die Frauen das wirklich, den beschützenden Daddy. Weils nicht "arg genug" ist. Verstehst du was ich meine?

Deinem Bequemlichkeitsargument widerspricht allerdings der Aspekt, daß man mit seinem Kink einen Lebensstil pflegt, der gesellschaftlich oft wenig akzeptiert ist. Das spricht wiederum nicht für das "den bequemen Weg gehen". Also allein darin, daß man das als Kink und nicht als "Normalität" oder "Natur" oder einfach unkommentiert lebt, liegt meiner Ansicht nach schon der "Bruch", der dem Mainstream eher einen Spiegel vorhält, und ich sehe da eigentlich weniger den Umstand, den Mainstream-Diskurs noch zu füttern.
Also, vereinfacht gesagt: wenn ich als Normalo höre, daß da eine Frau sich als Mädchen gibt und sich von ihrem Freund Malbücher kaufen lässt und diese ausmalt um "Daddy" eine Freude zu machen, denk ich doch nicht: "Boh das ist mein Rollenmodell" sondern wahrscheinlicher "ach, die sind doch pervers." Also, wo wird da das Reaktionäre schmackhaft?

Ich seh da nicht die Parallele zum Basteldiskurs, wo Otto-Normalverbraucherin vll. eher denkt: "Ach wie süss, plüschpink, könnt ich ja auch viel mehr mal nähen." Plüschpinke Mäuschen zu nähen erfordert kein "Coming out."

Langer Rede kurzer Sinn. Solang du im Vergleich zur Norm als pervers angesehen wirst, ist es meines Erachtens nicht möglich, unreflektiert deinen Kink zu leben. Du bist durch die Marginalisierung schlichtweg gezwungen zu reflektieren. Oder gehts wirklich ohne? Ich kann mir das nicht vorstellen.

großstadtnomadin - 1. Aug, 23:28

Hm, ist schwierig. Ich persönlich sehe die Problematik des gesellschaftlich nicht akzeptierten Lebensstils nicht so, zu mindest nicht derartig heftig, als dass es der Bequemlichkeit widersprechen würde.
Meiner Einsicht nach gibt es in dieser Szene (vor allem im amerikanischen Raum) schon eine sehr starke Tendenz zum Reaktionären. Nicht von jedem und von allen, aber doch von vielen. Es kommt dann wirklich so rüber, als wäre die ganze Emanzipation ein Irrweg und die Frauen froh, endlich wieder ihrem eigentlichen Wesen entsprechen zu dürfen. Ein Beispiel wäre hier die "Taken in Hand"-Beziehungskiste aus Amerika. Das hat wirklich schon Züge einer 50er-Jahre-Ehe, natürlich unter der Bedingung der Konsensualität. Mir persönlich fehlt da oft die Reflexion über das was man da lebt bzw. spielt. Denn diese Reflektiertheit, die durch die Marginalisierung entstehen könnte, ist ja nicht zwingend. Oft tritt auch das Gegenteil ein, der Rückzug in die Subkultur, die dann nach ganz eigenen Regeln und Bewertungsmustern funktioniert. Wenn alle dann in einer Sauce schwimmen, kommt nicht mehr viele kritische und reflektierende Gedanken auf, auch wenn man sich immer noch in der normale Gesellschaft bewegt.
Bodecea - 1. Aug, 10:35

Merkwürdige Dinge gibt es. Jeder wie er/sie mag, mich persönlich befremdet etwas dieser pädophile Unterton.

Aber wie Distel schrieb - das erwachsenen Frauen mädchenhafte Styles pflegen, ist ja nicht selten. Ich habe mal gelesen, dass es recht viele Frauen gibt, die andauernd Babybreis, Hipp-Gemüsematsch-Gläschen und so was essen, dazu Hello-Kitty-Sachen an 40jährigen - mh...

Bodecea (mit *hüstel* himbeerroten Glitzernagellack an den Füßen... aber ich glaube, bei mir kommt die Ironie davon rüber ;-))

großstadtnomadin - 1. Aug, 23:29

Ja, das ist die andere Sache,die ich an dieser Nummer so komisch finde. Aber diese Assoziation scheint in Amerika gemessen an der Verbreitung und Akzeptanz der Daddy-Nummer nicht so aufzukommen. Ist vielleicht in kulturelles Ding?
EndlosFaden - 5. Aug, 12:52

Tss,

ihr macht euch Gedanken ... dabei geht es doch "nur" um die Erhaltung der kindlichen Unschuld ... *g*

Bitte lest doch mal die Reaktionen auf deinen Eintrag bei ihr, sie ist bitterlich enttäuscht über das hiesige Unverständnis :-) .

Also mir entlockt ihr Beitrag nur ein tiefes Seufzen...

Lg Endlosfaden

großstadtnomadin - 5. Aug, 13:34

Oja, ich hab's grad gelesen. Hätte gar nicht gedacht, dass das eine Reaktion hervorruft. Naja sei's drum, verletzen wollte ich die Gute nicht, aber so ist das halt, wenn man all seine Unschuld verloren hat. ;)
Und ernsthaft: Wenn man sein Privatleben so in der Öffentlichkeit postuliert, muss man auch mit unangenehmen Reaktionen leben.

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